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Plattformarbeit: Sind Flexibilität und Gesundheit miteinander vereinbar?

Die Lieferung von Mahlzeiten und Einkäufen, Krankenpflege, Reinigung, juristische Dienstleistungen, Übersetzungen usw. können seit einigen Jahren über Internetplattformen Dritten anvertraut werden. Doch welche Folgen hat das für die psychische Gesundheit und das betriebliche Gesundheitsmanagement?

Dr. Rafaël Weissbrodt,
Hochschule für Gesundheit Wallis

Stéphanie Hannart,
Hochschule für Gesundheit Wallis

Begriffe wie Gig Work, Crowd Work, Cloud Work, Plattformarbeit und andere Begriffe bezeichnen die Verbindung von Kunden und Dienstleistern über eine Internetplattform. In der Schweiz scheint diese Art von Arbeit weit verbreitet zu sein. Angaben aus dem Jahr 2017 zufolge sucht ein Drittel der Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 70 Jahren auf diesem Weg eine Erwerbstätigkeit. Gemäss dieser Erhebung erzielt fast jeder Fünfte auf diese Weise einen Nebenverdienst oder – etwas seltener – gar ein Haupteinkommen. Durch die Lockdown-Massnahmen im Rahmen der Coronavirus-Pandemie sind diese Angebote verstärkt in Erscheinung getreten und haben an Dynamik gewonnen.

Das Aufkommen dieses Geschäftsmodells verdeutlicht die Vorteile und Gefahren der Individualisierung in der Arbeitswelt. Die Unternehmen profitieren von der Flexibilität der Arbeitskräfte sowie von Kosteneinsparungen. Der Reiz für die Erwerbstätigen liegt in der Freiheit der Organisation und in der Möglichkeit, leicht Zugang zu zusätzlichen oder alternativen Einkommensquellen zu erhalten. Diese Form der Tätigkeit führt jedoch zu einer grösseren Unsicherheit und Unberechenbarkeit in Bezug auf Einkommen und Arbeitsbelastung. Zudem bieten sich dabei weniger Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten und man kann sich nicht in ein Team integrieren. Die Betroffenen sind einer ständigen Bewertung ausgesetzt, auf die sie kaum Einfluss haben. Zeitdruck und die Zusammenarbeit mit den Kunden und Betreibern der Plattform sind zusätzliche Stressfaktoren. Nicht zuletzt ist der Konkurrenzdruck stark, vor allem bei Aufgaben, die remote von Personen ausgeführt werden können, die in Ländern mit niedrigeren Löhnen als in der Schweiz wohnen.

Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit können erheblich sein, vor allem, wenn diese Arbeit aus finanzieller Notwendigkeit und nicht aufgrund einer echten Entscheidung verrichtet wird. Überrepräsentiert sind in diesen Bereichen aber besonders gefährdete Gruppen: insbesondere junge Menschen, bei denen die Arbeitslosenquote höher ist, sowie Menschen mit niedrigem Einkommen, die manchmal mehrere Jobs ausüben. Es handelt sich hierbei um ein ernst zu nehmendes Problem für die öffentliche Gesundheit, insbesondere wenn die Anzahl der Personen, die diese Art von Arbeit verrichten, zunimmt.

Das Gesundheitsmanagement von Plattformarbeitskräften ist nach wie vor ein wenig erforschtes Gebiet, und die Herausforderungen sind riesig! Es ist besonders schwierig, diese Menschen zu erreichen, da sie nicht von den traditionellen Systemen der Prävention und Gesundheit am Arbeitsplatz erfasst werden. In diesem Blog fassen wir die auf internationaler Ebene diskutierten Empfehlungen und Initiativen zusammen. Drei Punkte stechen dabei besonders heraus:

  • Die Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Status von Plattformarbeitskräften soll geklärt werden, beispielsweise indem sie als Angestellte behandelt werden: Dadurch könnten ihr Sozialversicherungsschutz und ihre Rechte in Bezug auf die Gesundheit am Arbeitsplatz gestärkt werden
  • Der Dialog zwischen Plattformen, Arbeitskräften und ihren Vertretern soll durch das System der Sozialpartnerschaft strukturiert werden
  • Es sollen Massnahmen zur Gesundheitsförderung umgesetzt werden, entweder über Institutionen, die im betrieblichen Gesundheitsmanagement tätig sind, oder auf Initiative der Plattformbetreiber, die sich Gedanken um ihr Ansehen, die Qualität ihrer Dienstleistungen oder ihre Rechtssicherheit machen

Es ist nicht einfach, die zukünftige Entwicklung der Plattformarbeit vorherzusagen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie den Trend zur Flexibilisierung beschleunigen und dazu führen, dass die Zahl der Betroffenen zunimmt. Wenn sich diese Hypothese bestätigen sollte, würde ein erheblich grösserer Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung nicht mehr von den üblichen Systemen des betrieblichen Gesundheitsmanagements erfasst werden. Daher ist es wichtig, die Situation im Auge zu behalten und jetzt Massnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit dieser «Schattenarbeitskräfte» zu schützen und zu fördern. Wir hoffen, dass dieser Blog einen Beitrag dazu leisten kann!