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Psychische Gesundheit und Veränderungsbereitschaft als Erfolgsfaktoren agiler Transformation

Viele Unternehmen machen sich auf den Weg agiler zu werden und starten eine Transformation. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden, diesen Weg mitzugehen und mitzugestalten, ist dabei entscheidend für den Erfolg. Doch was braucht es dazu? Erstens müssen die menschlichen Grundbedürfnisse bei der Veränderung im Fokus stehen und zweitens müssen die richtigen Funktionen im Unternehmen eng zusammenarbeiten.

Marcel Baumgartner,
FHNW

Agiles Arbeiten breitet sich weiter aus. In der IT-Entwicklung haben praktisch alle namhaften Unternehmen auf agile Methoden umgestellt. Der Trend des agilen Arbeitens schwappt seit längerem aus dem IT- und Technik-Kontext auch auf andere Branchen über. Bereits geben ca. ein Fünftel der Unternehmen branchenübergreifend an, Entwicklungsprozesse durchgängig agil zu gestalten. Über ein Drittel beschäftigt sich momentan mit der Idee, agile Methoden einzuführen.

Höchste Zeit, sich zu fragen, wie eine solche Transformation von traditionellem hin zu agilem Arbeiten normalerweise abläuft? Welche Auswirkungen sie auf die Mitarbeitenden hat und wie ein solcher Übergang möglichst positiv gestaltet werden kann? Dieser Beitrag liefert Antworten auf diese Fragen auf Basis des aktuellen Forschungsstandes, der im Faktenblatt 50 von Gesundheitsförderung Schweiz zusammengefasst ist.

Problemstellung - agile Transformation als technischer Ablauf

Vielfach lässt sich in der Praxis beobachten, dass eine Transformation hin zu agilen Arbeitsweisen als technischer, prozessorientierter Vorgang angegangen wird. Überspitzt gesagt, werden vom Topmanagement Vorgaben gemacht, die von den Mitarbeitenden umzusetzen sind. Die Mitarbeitenden selbst können sich in wichtige Entscheidungsprozesse nicht oder nur oberflächlich einbringen. Typischerweise ist an diesem Punkt ein Sinken der Motivation und der Veränderungsbereitschaft zu beobachten. Deshalb ist es wichtig, den Faktor Mensch stärker zu berücksichtigen und die Transformation an den Mitarbeitenden, statt an den Prozessen auszurichten.

Faktor Mensch im Fokus

1. Grundbedürfnisse beachten

Die Psychologen Richard Ryan und Edward Deci postulieren drei menschliche Grundbedürfnisse. Sind diese erfüllt, erhöht das die Motivation; dies gilt auch für den Arbeitskontext. Zudem werden auch Kreativität, Problemlöseverhalten, Durchhaltevermögen sowie das psychische Wohlbefinden positiv beeinflusst. Diese drei Grundbedürfnisse sind:

  • Autonomie: wichtige, die eigene Arbeit und den Arbeitskontext betreffende Entscheidungen können selbst getroffen werden.
  • Kompetenzerleben: die eigene Arbeit bringt gewünschte Resultate hervor und hat positive Folgen.
  • Zugehörigkeit: Teil einer Gruppe in der Organisation sein und dort einen festen Platz haben.

Gelingt es in einer Transformation diese Grundbedürfnisse zu beachten, wirkt sich das positiv auf die Veränderungsbereitschaft und die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden aus. Das hat dann wiederum einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Transformation. Es ergibt sich also ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt. 

Abbildung 1: Kreislauf bei einer organisationalen Veränderung

Bild
Kreislauf bei einer organisationalen Veränderung
Kreislauf bei einer organisationalen Veränderung

2. Konkrete Massnahmen pro Erfolgsfaktor umsetzen

Folgende Erfolgsfaktoren agiler Transformationen unterstützen die drei Grundbedürfnisse: 

Autonomie

  • Freiwilligkeit: Interessierte Mitarbeitende gehen voraus und probieren neue Arbeitsweisen und Methoden aus. Ihre Erfahrungsberichte machen es den Kolleginnen und Kollegen einfacher, selber ins Ausprobieren zu gehen.  
  • Teamautonomie: Die Teams können ihre bevorzugten Methoden und Prozesse selber bestimmen und gestalten. 

Kompetenzerleben

  • Trainings und Coachings: Die neue Haltung, aber auch die Methoden und Praktiken müssen vermittelt und die Mitarbeitenden befähigt werden. Dafür braucht es die nötigen Mittel.  
  • Gemeinsame Experimente: Mit regelmässigem Feedback lernen die Beteiligten aus ihren Erfahrungen und bauen rasch neue Kompetenzen auf. 

Zugehörigkeit

  • Unterstützung des Topmanagements: Nur wenn das Vorhaben von ganz oben aktiv unterstützt wird, kann ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, im Sinne von «Wir als Unternehmen schaffen das!».
  • Gemeinsame Werte und Prinzipien: Wenn sich alle an denselben Werten und Prinzipien orientieren, gibt das Orientierung und Sicherheit in der unsicheren Situation der Veränderung.  
  • Neue Rollen: eine frühe Auseinandersetzung mit dem veränderten Rollenverständnis (v.a. beim mittleren Management) verhindert Unsicherheit und zeigt neue Perspektiven auf. 

In diesen Faktoren schlummert sehr viel Potenzial. Sie sind entscheidend für den Erfolg einer Transformation. Werden sie in guter Qualität umgesetzt, steigern sie die Motivation und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden und unterstützen so wiederum die Transformation. 

3. Verantwortlichkeiten definieren und Change-Themen entwickeln

Grundsätzlich sollten drei Akteure gemeinsam die Grundbedürfnisse der Mitarbeitenden im Auge haben:

  • Topmanagement
  • Human Resources (HR)
  • Projektleitung Transformation

Die drei Akteure tauschen sich vor und während der Transformation regelmässig aus und entwickeln diese vorrangigen Change-Themen gemeinsam stetig weiter:

  • Werte und Prinzipien: haben wir in unserer Organisation ausreichend Orientierung für das tägliche Handeln mithilfe gemeinsamer Werte und Prinzipien?
  • Führungsarbeit und neue Rollen: wie verteilen wir die Führungsarbeit? Welche neuen Rollen brauchen wir dafür?
  • Training und Coaching: was brauchen die Mitarbeitenden an Coaching, Training und Prozessbegleitung und wie setzen wir diese Unterstützung um (intern, extern)? Welche Strukturen brauchen selbstorganisierte Teams, damit sie möglichst barrierefrei arbeiten können?

Die drei Akteure haben also eine klare gemeinsame Vorstellung der Change-Themen und prägen so entscheidend die Kultur des Unternehmens.  

Mit einer bewussten Entscheidung, die Grundbedürfnisse der Mitarbeitenden bei der Transformation in den Fokus zu stellen, wird ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt, der über die Stärkung der psychischen Gesundheit und der Veränderungsbereitschaft wiederum die Erfolgsaussichten der agilen Transformation erhöht.  

Vertiefende Informationen zur gesundheitsförderlichen Gestaltung agiler Transformationen erhalten Sie im Faktenblatt 50 der Gesundheitsförderung Schweiz.